Die Geschichte spielt in einer kleinen Stadt, in der lange nicht mehr viel passiert ist, wie hier bei uns. Die Cafés sind ebenso geschlossen wie die meisten Geschäfte. Die Straßen sind menschenleer. Menschenleer ist auch der Marktplatz - schon seit Tagen. Da kommt eines Tages eine alte Frau daher. Unter ihrem Arm trägt sie einen Klappstuhl. Auf dem Marktplatz angekommen, klappt sie ihren Stuhl auseinander und nimmt Platz. So sitzt sie eine Weile ohne dass etwas geschieht. Da kommt ein Mann vorbei.
Was machst du da?, ruft er.
Ich warte auf das Glück, sagt die Alte, es soll heute hier vorbeikommen.
Das Glück, spottet der Mann, da kannst du lange warten. Und er geht weiter. Eine Frau kommt vorbei, bleibt stehen und schaut neugierig. Was machst du da?, fragt sie. Ich warte auf das Glück. Es soll heute hier vorbeikommen. Die Zeit vergeht, es wird Mittag, und die Kinder kommen aus der Schule. Sie komm neugierig näher und bleiben stehen.
Was machst du denn da?, fragen sie.
Ich warte auf das Glück, es soll heute hier vorbeikommen.
Das Glück? Die Kinder machen große Augen.
Ja, das Glück.
Dürfen wir mit dir warten?
Ja, gerne.
Da setzen sich die Kinder, lassen sich einfach auf den warmen Pflastersteinen nieder.
Was macht ihr da? ruft eine Frau aus einem Fenster.
Wir warten auf das Glück, rufen die Kinder, es soll heute hier vorbeikommen.
Oh, da mache ich mit, ruft sie. Ein bisschen Glück kann ich gut gebrauchen. Kurze Zeit später kommt sie aus dem Haus. Sie hat einen Stuhl mitgebracht und setzt sich zu der Alten und den Kindern.
Nach und nach kommen immer mehr Menschen hinzu. Sie kommen aus ihren Häusern, stellen Stühle auf und setzen sich. Sie fangen an zu erzählen. Einer bringt seine Gitarre mit, und sie singen miteinander. Die Zeit vergeht, und es wird langsam dunkel. Einige haben Gläser mit Kerzen geholt und auf den Marktplatz gestellt. Es bietet sich ein buntes Bild mit fröhlichem Stimmengewirr.
Da ruft plötzlich einer: Und das Glück? Wo bleibt nun das Glück?
Ja, wo bleibt das Glück?
Die Menschen sehen sich an. Ja, wo bleibt denn nun das Glück?
Die Alte lächelt. Dann sagt sie: Das Glück? Das ist doch längst da. Dort, wo Menschen sich treffen, wo sie miteinander reden und singen, wo sie beisammen sind, sich Geschichten erzählen und sich wohlfühlen, da ist das Glück längst da.
Da beginnen die Menschen zu lachen. Sie umarmen sich und lachen und erzählen sich noch weitere Geschichten. Bevor sie nach Hause gehen, versprechen sie sich: Das machen wir wieder.
Sie haben einen festen Tag verabredet, an dem sie sich abends auf dem Marktplatz treffen, um miteinander zu reden und zu feiern. Und sie haben ausgemacht, dass immer, wenn einer von ihnen eine kleine Sehnsucht nach Glück hat, er oder sie sich mit einem Klappstuhl auf den Marktplatz setzen kann. Dann wissen die anderen, dass sie sich dazusetzen und gemeinsam auf das Glück warten können.
Auf diese Weise ist das Glück wieder eingekehrt in die kleine Stadt. Meistens sitzen die Alten beisammen und erzählen von alten Zeiten. Oft kommen die Kinder und Jugendlichen dazu und hören mitunter die schönsten Geschichten. Die Mittelalten haben selten genug Zeit, weil sie ihren Berufen nachgehen und sich um Haus und Garten und Kinder kümmern müssen. Aber dann und wann braucht auch von ihnen ein jeder ein bisschen Glück, und wenn es auch nur einmal im Monat ist.
Immerhin, sagt die Alte dann lächelnd, immerhin.
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