Die Puppenspielerin und der Fotograf - Mecki und Wilfried Claus

Mechtildis Blankenstein – ein Name wie aus einem Roman, denke ich, der mich kurz an die Welt der Rosamunde Pilcher erinnert. Aber vor mir sitzt keine Romanfigur, sondern eine reale, sehr pragmatische und kreative Frau. Bereits in ihrer Kindheit erhielt sie den Namen Mecki. „Der Einfachheit halber“, sagt sie, die als drittes von zwölf Kindern in Köln-Longerich aufwuchs. Die Pulheimer/innen kennen Mecki Claus vor allem durch das „Theater im Walzwerk“, das sie 2000 gründete und zwölf Jahre lang führte. Aber das ist schon eine Weile her. Ihr Nachfolger, Marco Seypelt, konnte 2023 bereits das Zehnjährige feiern.

Mecki Claus, die Puppenspielerin, Puppenbauerin und Theaterfrau, war zwölf Jahren eng mit dem Walzwerk verbunden. „Frau Walzwerk hat mich ein Besucher einmal genannt“, sagt sie lachend. Sie stand stets in der ersten Reihe, begrüßte die Besucher und spielte eigene Stücke, fünfmal in der Woche für Kindergärten und Schulen, an den Wochenenden für ein Privat-Publikum. Die Figuren und Kulissen waren sämtlich selbst gebaut, die Stücke selbst geschrieben und inszeniert. Daneben empfing sie Gast-Puppenspieler, Musik- und Kabarett-Künstler und förderte sie auf ihre Weise. So kannten und schätzten sie einheimische und andere Besucher, die von weither anreisten. Dabei  hat anfangs niemand so recht an einen Erfolg geglaubt, nicht einmal die Theaterchefin selbst.

Bei meinem Besuch bei Mecki und Wilfried Claus und unserem gemeinsamen Rückblick auf das Walzwerk-Theater wird schnell deutlich: Mecki Claus stand zwar immer sichtbar im Rampenlicht, während Wilfried Claus die Arbeit fotografisch dokumentierte. Aber ihn auf den Fotografen zu reduzieren, wäre falsch. Er stand nicht nur hinter der Kamera, sondern auch hinter seiner Frau. „Ohne ihn hätte es das Theater nie gegeben“, sagt Mecki entschieden. „Ohne ihn wäre ich nicht einmal auf die Idee gekommen, ein Theater zu gründen. Es alleine zu betreiben, wäre schon gar nicht möglich gewesen.“

Wilfried Claus war Initiator, Mutmacher, Ideengeber und praktischer Unterstützer für seine Frau – seine große Leidenschaft aber war die Kunst des Fotografierens. „Ich habe bereits mit sechzehn fotografiert“, sagt er und betont: „Wirklich fotografiert, nicht nur geknipst. Ich wollte Künstler werden, aber mein Vater meinte, ich sollte erst einen ‚vernünftigen‘ Beruf erlernen.“

Er habe Theologie, Philosophie und Kunst in Bonn und Köln studiert, später kam Mathematik hinzu. Dann wurde er Lehrer. Nach drei Jahren an der Grundschule in BM-Hüchelhoven ging er an die Hauptschule nach Köln-Heimersdorf, wo er neben den studierten Fächern auch Deutsch und Geschichte unterrichtete. „Ich unterrichtete alles, außer Handarbeit und Sport“, ergänzt er lächelnd. „Ich wollte die Welt verbessern“, fügt er mit Blick auf die Schulleiter-Stelle hinzu, die er nach 34 Jahren Schuldienst annahm. Damit blieb ihm kaum Zeit für seine künstlerische Tätigkeit, die sich wie ein roter Faden durch sein Leben zieht. 1997 hatte er eine erste Ausstellung als Fotograf in Köln in der Domstraße. Dort lernte er viele Künstler kennen und dachte zum ersten Mal: „Nun bin ich ein Künstler.“

Während er in seinem Fotolabor seine Bilder noch analog selbst entwickelte, baute Mecki Claus in ihrer Werkstatt in Köln Dellbrück Puppen und Kulissen für ihre neuen Stücke. Eigentlich habe sie Maskenbildnerin werden wollen, besuchte dann aber die Höhere Handelsschule, lernte Stenografie, Schreibmaschine und Buchhaltung und arbeitete als Sachbearbeiterin in einer Versicherungsfirma. 1969 heirateten sie. Sie hatten sich in der Jugendarbeit in der Pfarrei kennengelernt. Nach der Geburt des ersten Kindes gab Mecki ihren Beruf auf. Zwei weitere Kinder kamen dazu, ein eigenes und ein Pflegekind.

Ein Buch, das Mecki Claus von ihrer Schwester geschenkt bekam („Mein Puppentheater“ von Fridel Busse) inspirierte sie, ein ganzes Kasperle-Ensemble zu bauen und kleine Theaterstücke zu schreiben. Die führte sie dann ihren eigenen Kindern und Nachbarskindern vor, zunächst allein und in ihrem Wohnzimmer, später mit Mitspielerinnen im Pfarrsaal von St. Kosmas und Damian und in Kindergärten.

Die Begegnung mit einem professionellen Puppenspieler wurde für Mecki Claus zu einem Schlüsselerlebnis. Sie entdeckte weitere Spielmöglichkeiten, besuchte Kurse und lernte hinzu: Figurenbau, Sprechunterricht, Bühnenpräsenz, Dramaturgie und Stückentwicklung. Nach zehn Jahren Amateur-Arbeit meldete sie ihr Puppenspiel als Gewerbe an, das sie mit dem Stück „Das Traumfresserchen“ von Michael Ende begründete. Insgesamt 19 Theaterstücke sind während ihrer aktiven Zeit im Walzwerk-Theater entstanden. Sie alle zeigen die Vielfalt der Spielmöglichkeiten.

Mecki Claus war neben ihrer künstlerischen Tätigkeit auch immer fördernd und weiterentwickelnd aktiv: als Mitbegründerin und Vorsitzende von „Faszenario“, als Mitglied im Berufsverband der Puppenspieler und im Kölner Horizont-Theater, wo sie vieles hinzulernte: Führung des Theaters, Programmgestaltung, Künstlerkontakte, Pressearbeit, Personenführung, Finanzierung und Technik. Als ihr Ehemann Wilfried sie eines Tages einlud, die Räumlichkeiten im Walzwerk zu besichtigen, war allerdings alles andere als begeistert. „Ich schlug die Hände über dem Kopf zusammen“, erinnert sie sich, und dachte nur noch: „Das schaffen wir nie!“

Wilfried Claus aber hatte Vorstellungskraft und Mut genug, seine Frau zu ermutigen: „Wir bringen Kultur ins Walzwerk!“ Davon ließ sich auch der Eigentümer des Walzwerks Wolf-Rüdiger Schmidt-Holzmann anstecken. Es wurde hin und her gerechnet und geplant. Zu Beginn gehörte die Halle Kran 3 dazu. Hier gab es die erste Foto-Ausstellung und 2001 wurde dort Silvester gefeiert. 2002 fand hier die Kulturpreis-Verleihung des Rhein-Erft-Kreises statt. „Alle wichtigen Leute waren da“, erinnert sich Mecki Claus, „aber auch viel Skepsis. Am Anfang hieß es: In einem halben Jahr seid ihr bankrott.“

Dann wurde geplant und gebaut. Schmidt-Holzmann hat Wände gezogen, Holzboden verlegt, Toiletten und Heizung eingebaut. Wilfried Claus baute zusammen mit Kollegen und Helfern eine Bühne, eine Treppe und die Technik. Scheinwerfer und Mobiliar konnten kostengünstig aus verschiedenen Beständen erworben werden. Wilfried Claus gestaltete die Werbung und die Homepage, während Mecki sich um die Verschönerung des Theaters, die Puppen und den Theater-Betrieb kümmerte.

Als das Kultur- und Medienzentrum der Stadt Pulheim eröffnet wurde, war auch Mecki Claus mit dem „Barbier von Sevilla“ dabei. Da war das Theater bereits fünf Jahre alt und erhielt den Kulturpreis des Rhein-Erft-Kreises. Im Grußwort des damaligen Bürgermeisters Dr. Karl August Morisse klang die Skepsis der Anfangszeit an: „Das hätte keiner für möglich gehalten.“

Was die beiden dann tatsächlich geschaffen und zum kulturellem Leben in Pulheim beigetragen haben, ist kaum zu ermessen. Als Wilfried Claus Schulleiter wurde und nur noch wenig Zeit für seine künstlerische Tätigkeit hatte, spielte Mecki vor allem Puppentheater für Kinder. Ihre liebevoll gestalteten Märchenbühnen und die Umsetzung vom Froschkönig oder Dornröschen konnten aber auch Erwachsene verzaubern. Nach der Übergabe des Theaters hat Mecki Claus noch zwei Jahre lang das Kinder-Programm weitergespielt, bis der Auf- und Abbau kräftemäßig und finanziell nicht mehr zu stemmen war.

Inzwischen besteht das Theater 23 Jahre. „Die Idee hat sich durchgesetzt“, meint Mecki Claus. Der neue Betreiber, Marco Seypelt, habe dem Ganzen eine neue Richtung gegeben. Das Publikum hat sich verjüngt, und er hat es geschafft, das Theater durch die Pandemie zu bringen. Im vergangenen Jahr konnte er bereits sein zehnjähriges Bestehen feiern.

Wilfried Claus hatte nach seiner Pensionierung ein Foto-Atelier im Walzwerk gemietet und sich seiner Passion, der Fotografie, gewidmet. Das Walzwerk selbst, damals im Umbruch und in Umgestaltung, wurde zu seinem Motiv. Als später das Rittergut Orr gekauft wurde, streifte er oft durch das Gelände und hielt den Zustand der Ruine und deren Wiederaufbau in Bildern fest. Heute sind die Fotos Zeit-Dokumente einer Umgestaltung, Bilder, die heute nicht mehr so aufgenommen werden könnten.

Die vielen Fotos brachten das Ehepaar auf die Idee, gemeinsam ein Buch zu gestalten, zunächst zum Rittergut Orr. Wilfried ordnete die Fotos und machte sich an die Gestaltung. Mecki interviewte Menschen, die mit dem Herrenhaus und dem Park verbunden waren, sei es in der Vergangenheit oder Gegenwart. Viele hatten ihre ganz eigenen Geschichten zu erzählen. Auf diese Weise sind ein Bildband mit Geschichten zum Rittergut Orr und später eines zum Walzwerk entstanden.

Mecki und Claus sind ein Team, beruflich wie privat. Sie sind inzwischen im Ruhestand, ihre Kinder sind aus dem Haus. In ihrem Reihenhaus mit einem blühenden Garten, Goldfisch-Teich und Zeit für Ideen, von denen nicht alle verwirklicht werden können. „Die Energie wird weniger“, sagt Wilfried Claus. „Da gilt es, die Zeit und Kräfte einzuteilen“. Zurzeit sortiert und ordnet er sein Fotoatelier, das er sich im Haus seiner Tochter in Longerich eingerichtet hat.

An Ideen fehlt es nicht. Mecki Claus ist – seit sie das aktive Puppenspiel aufgab – immer auf der Suche nach Geschichten, die sie in Puppen und Kulissen umsetzen kann. Wilfried Claus begleitet sie, aber nicht nur am Auslöser der Kamera. Er führt Regie und gibt die Farbgebung vor. Die Puppenbauerin muss ihre Puppen so gestalten, dass sie fotografisch zu erfassen sind. Dabei müssen sich beide Akteure immer wieder gut aufeinander einstellen und ihre zum Teil sehr unterschiedlichen Vorstellungen aufeinander abstimmen. Manchmal braucht es mehrere Versuche, manchmal geht es ganz leicht. Auf diese Weise sind in den vergangenen Jahren ihre Bücher entstanden: Das Gespenst von Canterville, Der selbstsüchtige Riese (Oscar Wilde), u.v.m.

Aber das ist längst nicht alles. Mecki Claus hat einige Zeit im Seniorentheater „Immergrün“ mitgewirkt, das sich Roald-Dahl-Geschichten widmete. Wilfried Claus präsentierte im Januar 2023 seine Fotoausstellung „Faltenwurf-Bilder“. Seit einiger Zeit arbeitet er an „Selbstporträts“ – eindrucksvollen Aufnahmen in der Auseinandersetzung mit sich selbst. Das Projekt ist noch nicht abgeschlossen, ist aber wohl das persönlichste seiner Fotografen-Laufbahn.

Text: Christiane Raeder, 2024

Fotos: Wilfried Claus

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